Von Lilli Lachenmann
Jetzt bin ich genau seit 48 Tagen in Indien und ich bin sehr gut angekommen. Ich habe in den letzten 6 Wochen einen unheimlichen Strom an ersten Eindrücken verarbeiten müssen. Angefangen hat es damit, dass ich bei meiner Ankunft in Delhi erst einmal eine volle Ladung indischer Gelassenheit entgegen gebracht bekommen habe. Ich habe dank einer halben Stunde Verspätung meinen Anschlussflug nach Jodhpur in Delhi nicht erreicht. Der Flug, der erst ganze zwei Stunden später geflogen wäre, war leider viel zu schnell und als die lieben Leute von Air India eine halbe Stunde vor Abflug dann endlich den Weg zum Schalter gefunden haben, war der Flug ausgebucht. Ich wurde also kurzerhand in ein nicht sehr schönes Hotel gesteckt und mir wurde ein Flug für den nächsten Tag versprochen. Umso mehr habe ich mich gefreut, als ich am nächsten Tag endlich in meinen Flieger nach Jodhpur steigen durfte. Ich wurde sofort am Flughafen in Jodhpur abgeholt und mit Blumenkette und unglaublicher Herzlichkeit im Guesthouse von Sambhali Trust empfangen.

Mein Zimmer für die ersten drei Tage war ein schöner Kontrast zu meinem Hotel in Delhi.
So langsam habe ich dann all die 13 Volontäre, die zur Zeit da waren, kennen gelernt und mich richtig schön eingelebt. Jetzt, nach 7 Wochen, bin ich zur Englischlehrerin und zur Volontär-Koordinatorin geworden und arbeite, wenn ein bisschen Zeit bleibt, in der Administration mit. Alles in allem habe ich also gut viel zu tun, aber es macht Spaß!
Bei meiner Ankunft in Delhi war ich also zuerst einmal ganz schön geschockt von der scheinbaren Unfreundlichkeit der Inder. Mit der Zeit lernt man hier jedoch, dass man oft nur ein paar Mal nachhaken muss, dann bekommt man sehr schnell, was man möchte. Zum Beispiel habe ich neulich ein Paket verschickt und es kaum glauben können, dass die vier Männer, die eng beisammen am Schalter standen, gar nicht zusammen gehörten, sondern alle ihre Briefe dem Beamten hinstreckten. Mit Privatsphäre können hier also nur wenige etwas anfangen, sogar beim Bankschalter. Es geht mir immer wieder so, dass ich ein wenig erschrecke über die Angewohnheiten der Inder. Der Schlüssel zum Verständnis ist dann eigentlich nur die Gelassenheit. Diese sollte man am besten überall beibehalten, sei es am Flughafen, im Straßenverkehr oder bei dem gewohnten Einkauf auf dem Markt.

Ein zunächst ungewohnter, aber sehr häufiger Anblick im Straßenverkehr
Natürlich musste ich mich auch an die Umgebung erst gewöhnen. Genauso wie es erzählt wird, laufen die Kühe überall herum, am liebsten aber mitten in den Menschenmassen oder im Verkehr. Dabei muss man sich auch vor etwas unangenehmeren Kühen in Acht nehmen, die gerne ab und zu auch mal mit ihren Hörnern ausholen, wenn man zu dicht an ihnen vorbei läuft. Die Straßen und Gehwege sind zudem in katastrophalem Zustand und der Müll wird achtlos auf die Straße geschmissen. Außerdem muss man immer wieder auf wilde und tollwütige Hunde achtgeben, genauso wie auf rasenden Rollerfahrer, die scheinbar nicht bereit sind auszuweichen. Ich habe mittlerweile aber gelernt, ordentlich mit den Verkäufern und Rikscha-Fahrern zu verhandeln und unbeschadet über die Straße zu gehen.
An meinen normalen Arbeitstagen bekomme ich aber von all diesen Dingen nur wenig mit. Ich stehe im Normalfall gegen halb neun auf, es sei denn, ich habe Yoga. Drei Mal die Woche kommt ein Yogalehrer ins Haus und bietet für umgerechnet 2,50 € eine Stunde Yoga von 8:15 bis 9:15 Uhr an. Anschließend frühstücke ich erst einmal frische Papaya und Bananen und ab und zu auch einmal ein Omelett. Dann bereite ich noch meinen Unterricht für meine Englischklasse und meine Matheschülerinnen vor. Ich habe in dem Projekt „Brothers for Sisters“ die Medium-Klasse übernommen. „Brothers for Sisters“ ist das Empowerment Center mitten im muslimischen Viertel Jodhpurs. Dort haben wir drei Klassen, welche in „Beginners“, „Medium“ und „Advanced“ aufgeteilt sind. Meine Mitbewohnerin Sarah unterrichtet die „Advanced class“ und die erst vor wenigen Tagen angekommene Sorcha aus London die „Beginners class“.

Meine Zimmermitbewohnerin Sarah aus dem Schwarzwald
Immer eine der Klassen hat nebenher außerdem „Arts and Crafts“ bei einer der indischen Angestellten von Sambhali Trust. Ich habe meine Klasse erst ganz frisch übernommen. Im Durchschnitt sind 11 Mädchen anwesend und ich habe auch schon einen Großteil der Namen auswendig gelernt. Die älteste meiner Schülerinnen dürfte Anfang 30 sein und die jüngste ca. 8 Jahre. Viele wissen ihr Alter gar nicht so genau, oder nennen ein anderes Alter als das, welches ihrem Geburtsjahr entspricht. Die Frauen selbst gehen damit aber humorvoll um, denn hier ist der Geburtstag kein besonders wichtiger Tag. Etwa die Hälfte der Schülerinnen ist verheiratet und hat Kinder bzw. hat bereits einen Verlobten. Vereinzelt gibt es auch Fälle, in welchen Frauen nur selten die Erlaubnis ihres Mannes bekommen, das Empowerment Center zu besuchen. Wir müssen uns deswegen auch immer auf eine wechselnde Klassengröße einstellen. Dank etwas schlechter Aufzeichnungen meiner Vorgängerin muss ich jetzt noch einmal vieles mit meinen Schülerinnen wiederholen, damit ich weiß, auf welchem Stand sie sind. Ich fange also noch mal ganz von vorne bei der Aussprache der einzelnen Buchstaben in verschiedenen Wörtern und den Personalpronomen an. Anfangs hatte ich ein wenig Angst, mich vor eine Gruppe Mädchen und Frauen zu stellen, die teilweise in meinem Alter und drüber sind.
Nachdem ich aber ein paar Mal im Projekt war, habe ich die sie kennen gelernt und schon ins Herz geschlossen. Zu diesem Projekt werde ich um 10:30 Uhr mit einem Van abgeholt. Wir haben einen Angestellten, welcher alle Volontäre und die Angestellten von Sambhali von einem Projekt zum anderen fährt. Ich komme dort also jeden Tag sicher gegen 11:00 Uhr an. Im Normalfall unterrichte ich dann meine Medium-Klasse eine Stunde lang. Nach dieser Stunde wird gewechselt und meine Klasse hat „Arts and Crafts“. Für interessierte Frauen und Mädchen mache ich dann noch ein wenig Matheunterricht bzw. gebe ihnen Aufgaben.

Ein paar meiner Schülerinnen an meinem ersten Unterrichtstag
Kurz nach 13:00 Uhr Uhr werden wir dann wieder abgeholt und zurück zum Guesthouse gefahren. Dann gibt es zuerst einmal Mittagessen. Das Guesthouse ist fast ausschließlich vegetarisch, nur ca. einmal im Monat gibt es Hähnchen oder Lamm. Da viele der Volontäre das indische Essen zwei Mal am Tag schon satt haben, gibt es jetzt außerdem ab und zu auch Pasta. Wenn ich fertig bin mit essen, schaue ich, ob und wann neue Volontäre ankommen. Meine Aufgabe als Volontärkoordinatorin ist es, neue Volontäre zu empfangen und sie in die Organisation einzuführen. Außerdem mache ich mit ihnen eine kleine Stadttour, bei der ich ihnen ein wenig Orientierung in der Stadt geben möchte. Anschließend schaue ich mit Govind, dem Gründer von Sambhali Trust, in welchem Projekt noch Helfer fehlen und was zu den jeweiligen Personen passt. Für die Volontäre, die ihre Einführungsphase schon hinter sich haben, bin ich außerdem Ansprechperson und Sprachrohr zu Govind. Bis jetzt ist das noch ein bisschen komisch für mich, da ich ja selbst eher eine von den neuen bin. Ich habe aber genug Unterstützung von anderen Volontären und Govind. Wenn ich damit dann durch bin und mir noch ein wenig Zeit bleibt, kümmere ich mich noch ein bisschen um die Administration. Das heißt, ich versuche Sambhali Trust auf möglichst vielen Webseiten zu platzieren und neue Kunden, Spender oder Volontäre anzulocken.
Am Ende des Tages treffe ich mich für gewöhnlich mit den anderen Volontären wieder am Esstisch und lasse je nach Laune den Abend mit einer gemütlichen Runde, einem Bollywood-Film oder meinem Buch ausklingen.
Natürlich ist der beschriebene Tag hier ein perfekter Tag, der sehr oft von plötzlichen Änderungen der so spontanen (man kann auch sagen ab und zu planlosen) Inder durchkreuzt werden kann. Das ist das, was uns vergleichsweise durchgeplanten Europäern manchmal ganz schön auf die Nerven gehen kann. Allerdings muss man eben nur Geduld haben, dann wird am Ende meistens alles doch irgendwie gut. Mir fällt das selbst oft noch etwas schwer, da ich nicht der allergeduldigste Mensch bin, aber ich will hier ja auch etwas lernen. Was mir an Sambhali Trust aber sehr gut gefällt, ist, dass die Volontäre sehr viel Verantwortung und damit auch Freiheit bekommen. Wenn wir spontan eine Idee für einen Workshop haben, bekommen wir immer Unterstützung. Dasselbe gilt auch für unseren Unterricht, den wir komplett selbst gestalten dürfen. Wir haben dabei immer eine Übersetzerin, die auch ein bisschen aufpasst, dass wir den Mädchen etwas beibringen. Allgemein ist man aber der Überzeugung, dass wir, als die am Geschehen Beteiligten, am besten wissen sollten was die Frauen brauchen und können. Auch bei Verhandlungen mit potenziellen Kooperationspartnern werden oft die Volontäre mit einbezogen und nach Meinungen gefragt.
Vor zwei Wochen habe ich das gespendete Geld von der Geburtstagsfeier meiner Großeltern mit Govind, dem Gründer von Sambhali Trust, wechseln lassen. Durch einen Wechselkurs von 84 Rupien pro Euro, habe ich 168.000 Rupien an ihn übergeben können. Bisher ist geplant, das Geld in ein sehr neues Projekt namens „No Bad Touch“ zu investieren. „No Bad Touch“ wird bisher von Psychologie-Praktikanten aus Deutschland und der Schweiz geleitet, die hierher kommen, um ihr fürs Studium nötige Praktikum zu absolvieren. Sie geben Frauen und Kindern Workshops, in welchen ihnen erklärt wird, was ein „good touch“ oder ein „bad touch“ ist und wie sie sich bzw. ihre Kinder vor sexueller Gewalt schützen können. Ich habe selbst bei zwei dieser Workshops mitgeholfen und halte dies für eine sehr gute Sache.
Um dieses Projekt nun zu sichern, soll eine indische Frau angestellt werden, die diese Workshops leiten kann. Das ist insofern auch gut, dass nicht mehr alles vom Englischen in Hindi übersetzt werden muss.

Govind und ich im Durag Niwas
Das war soweit alles zu meinen ersten Wochen in Indien. Wer noch ein bisschen mehr über meinen Alltag und meine Wochenenden wissen oder Bilder anschauen möchte, kann gerne meinen Blog besuchen: Lilli auf Reisen
Liebe Grüße, Lilli
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